Europa – Titandioxid: EuGH erklärt Einstufung von Farbpigment als krebserregend für fehlerhaft
In einem am 23. November 2022 veröffentlichten Urteil hat der EuGH die im Jahr 2019 von der EU erlassene Verordnung (EU) 2020/217 für insoweit nichtig erklärt, als sie die Einstufung und Kennzeichnung von Titandioxid als in bestimmten Formen krebserregend betrifft (CWS Powder Coatings u. a. / Kommission, Rechtssache T‑279/20).
Geklagt hatten verschiedene europäische Chemieverbände sowie einige Unternehmen, die ihre den Weißmacher Titandioxid enthaltende Produkte seit dem Erlass der Verordnung (EU) 2020/217 als „krebserregend“ kennzeichnen mussten. Titandioxid mit der chemischen Summenformel TiO2 wird u. a. in zahlreichen Kunststoffprodukten, Wandfarben oder auch Kosmetika wie Zahnpasten oder Sonnencreme eingesetzt.
Das Gericht urteilte nun, dass die entsprechende Verordnung insoweit nichtig sei. Bei der Klassifizierung sei ein Gutachten zur Karzinogenität des Stoffs nicht angemessen bewertet worden. Eine Einstufung als „krebserregend“ wie vorgenommen erfordere, dass der Stoff intrinsisch, also für sich genommen, krebserregend sei. Bei Titandioxid sei dies aber nur in Verbindung mit bestimmten lungengängigen Titandioxidpartikeln der Fall, wenn diese in einem bestimmten Aggregatzustand, einer bestimmten Form, einer bestimmten Größe und einer bestimmten Menge vorhanden seien. Zudem zeige sich der krebserregende Effekt nur bei einer Lungenüberlastung und entspreche einer Partikeltoxizität.
Gegen das Urteil des EuGH kann noch Einspruch eingelegt werden. Nicht berührt davon ist das ebenfalls 2019 in der gleichen Verordnung erlassene Verbot von Titandioxid als Zusatzstoff E 171 in Lebensmitteln, wo es bspw. in Backwaren oder Dragees verwendet wurde.
USA – Oberster Gerichtshof von Ohio erklärt Obergrenze für immateriellen Schadensersatz bei sexuell missbrauchten Personen für verfassungswidrig
Der Oberste Gerichtshof von Ohio hat am 16. Dezember 2022 entschieden, dass die Obergrenze für immateriellen Schadensersatz für junge Opfer, die infolge vorsätzlicher krimineller Handlungen traumatische, weitreichende und chronische psychische Schäden erleiden und die Täter auf zivilrechtlichen Schadensersatz verklagen, verfassungswidrig ist (Brandt v. Pompa, Slip Opinion No. 2022‑Ohio‑4525).
Die im Jahr 2005 in Kraft getretene Obergrenze im Ohio Revised Code, § 2315.18, sieht vor, dass der Schadensersatz für immaterielle Schäden USD 250.000 oder das Dreifache des materiellen Schadens nicht übersteigen darf, höchstens jedoch USD 350.000 pro Kläger oder USD 500.000 für jedes Ereignis. Zu immateriellen Schäden zählen dabei Schmerzen und Leiden, seelische Qualen und andere immaterielle Verluste. Die Grenze wurde eingeführt, um die nachteiligen Auswirkungen unseriöser Klagen auf das Justizsystem und die Wirtschaft von Ohio zu verringern.
Im konkreten Revisionsverfahren hätte die Obergrenze auf den Fall einer Frau angewendet werden müssen, die den Vater einer Jugendfreundin verklagt hatte, weil er sie im Alter von 11 und 12 Jahren sexuell missbraucht hatte. Der Oberste Gerichtshof bestätigte nun ein zu ihren Gunsten ergangenes Schadensersatzurteil mit einer Gesamthöhe von USD 134 Mio., das – entgegen der eigentlich anwendbaren vorgenannten Obergrenze – einen Betrag von USD 20 Mio. für immateriellen Schadensersatz für den Missbrauch enthielt.
Zur Begründung führte der Oberste Gerichtshof aus, es müsse eine Ausnahme von der gesetzlichen Obergrenze für schwere und dauerhafte psychische Verletzungen geben. Für Menschen wie die Klägerin im Ausgangsverfahren bedeute die Obergrenze das Gegenteil der damit beabsichtigten Verbesserung des Gerichtssystems. Da die meisten Versicherungspolicen aufgrund von Ausschlüssen für vorsätzliches Verhalten insbesondere bei Missbrauch oder Belästigung keinen Schutz für die von der Klägerin erlittenen Arten von Verletzungen enthielten, sei einziger Nutznießer der Schadensersatzobergrenze in diesem Fall der Täter und nicht Öffentlichkeit und/oder Versicherungsbranche. Da der Täter ferner bereits strafrechtlich verurteilt worden war, liegt auch keine Gefahr einer rechtsmissbräuchlichen Klage vor, deren Erhebung die Obergrenze verhindern soll.
Zu beobachten ist, ob in Produkthaftungsklagen in Ohio bei besonders schweren immateriellen Schäden künftig ebenfalls Ausnahmen gefordert werden und damit auch in diesen Fällen die Obergrenze für ungültig erklärt wird.
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